Die Literaturseite von Eckart Winkler
Wir hören voneinander

 

Dies ist die Geschichte von Herbert Malinga. Er ist Mitglied der SPD, der Sozialen Partei Drömelhausen, die mit unserer heißgeliebten SPD natürlich überhaupt nichts zu tun hat. Und er möchte Bürgermeister von Drömelhausen werden.

Und dies ist die Geschichte von Klaus Brunnen. Er ist Mitglied der CDU, der Christlichen Drömelhausener Union, die mit unserer heißgeliebten CDU natürlich rein gar nichts zu tun hat. Und er möchte Bürgermeister von Drömelhausen werden.

Dies ist hingegen nicht die Geschichte von Martin Faller. Er möchte ebenfalls Bürgermeister von Drömelhausen werden, gehört aber keiner Partei an. Von ihm soll hier überhaupt nicht die Rede sein.

Die Geschichte beginnt mit einem streng vertraulichen Besuch Malingas bei Herrn Fengmann, seines Zeichens Inhaber, Geschäftsführer und einziger Mitarbeiter der Firma "Wanz it - Abhöranlagen GmbH" mit Sitz in Drömelhausen, deren Produkte in Deutschland zwar verkauft, aber nicht benutzt werden dürfen. Malinga kauft ein Sortiment Abhöranlagen zum Preis von 1198 Mark und erhält eine Rechnung, die sich nicht zur Einreichung für die Steuererklärung eignet. Und Fengmann läßt rein zufällig die Adresse eines weiteren Herrn offen liegen, der unbekannt bleiben will und in der Lage ist, die Geräte an den gewünschten Stellen zu installieren. Malinga steckt den Zettel versehentlich ein.

Es geht weiter mit einem streng vertraulichen Besuch Brunnens bei eben jenem Herrn Fengmann. Auch Brunnen kauft ein Sortiment Abhöranlagen zum Preis von 1198 Mark und erhält eine Rechnung, die sich nicht zur Einreichung für die Steuererklärung eignet. Auch er steckt versehentlich einen Zettel mit der Adresse eines Herrn ein, der unbekannt bleiben will und die Geräte an den gewünschten Stellen installieren kann.

Der unbekannte Herr installiert im Auftrag von Malinga für einen Pauschalbetrag von DM 2500 Abhörgeräte im Hause Brunnen. Und er installiert im Auftrag von Brunnen für einen Pauschalbetrag von DM 2500 Abhörgeräte im Hause Malinga. Denn natürlich hat der politische Widersacher Dreck am Stecken, dessen Kenntnis sich im harten Wahlkampf in der 300-Seelen-Gemeinde Drömelhausen bestens zu dessen Ungunsten benutzen lassen wird. Und damit nimmt das Geschehen seinen Lauf.

28 Tage vor der Wahl: Der Wahlkampf beginnt. Malinga erfährt, daß Brunnen unter der Dusche singt, und zwar meist deutsche Schlager. Brunnen erfährt, daß Malingas 14-jähriger Sohn Tom eine Stunde zu spät von einer Party nach Hause gekommen ist.

25 Tage vor der Wahl: Malinga erfährt, daß Brunnens Frau Margrit zwei Pakete Schinkenwurst im Kühlschrank vergessen hat, deren Haltbarkeitsdatum vor drei Wochen abgelaufen ist und die nun total verschimmelt sind. Er wird Ohrenzeuge eines Wortgefechts. Brunnen erfährt, daß in der Küche der Malingas der Wasserhahn die ganze Nacht getropft hat. Malinga gibt seiner Frau die Schuld und rechnet den Verlust auf 12.78 Hektoliter hoch. Seine Frau weint.

24 Tage vor der Wahl: Malinga fährt in einen Kurzurlaub. Brunnen weiß davon nichts und verbringt volle fünf Tage vergeblich vor seinem Abhörapparat.

18 Tage vor der Wahl: Malinga erfährt, daß Brunnen Fan von Bayern München und Steffi Graf ist. Brunnen erfährt, daß Malingas 14-jähriger Sohn Tom heimlich geraucht hat, erwischt wurde und deswegen drei Tage Hausarrest erhält.

17 Tage vor der Wahl: Malinga hört mit, als Brunnen Besuch von einem Parteikollegen bekommt. Kurz nachdem sie sich in das Arbeitszimmer zurückgezogen haben, reißt die Verbindung ab. Malinga vermutet, die Batterien sind leer. Da auch Brunnens Verbindung zu Malinga abbricht, bestätigt sich dieser Verdacht. Das können die beiden aber nicht wissen.

16 Tage vor der Wahl: Malinga und Brunnen versuchen beide ununterbrochen, den unbekannten Herrn telefonisch zu erreichen. Den ganzen Tag über ist entweder besetzt, oder es geht niemand ans Telefon.

15 Tage vor der Wahl: Malinga und Brunnen versuchen erneut, den unbekannten Herrn zu erreichen, und schaffen es nicht.

14 Tage vor der Wahl: Malinga und Brunnen suchen unabhängig voneinander das Geschäft von Herrn Fengmann auf. Das hat aber sonntags geschlossen.

13 Tage vor der Wahl: Malinga und Brunnen suchen unabhängig voneinander das Geschäft von Herrn Fengmann auf. Der Aufenthaltsort des unbekannten Herrn ist ihm aber unbekannt.

6 Tage vor der Wahl: Nachdem Malinga und Brunnen eine ganze Woche vergeblich versucht haben, den unbekannten Herrn zu erreichen, gelingt es ihnen nun. Sie beauftragen ihn, für einen Pauschalbetrag von DM 2500 pro Person die installierten Abhöranlagen mit frischen Knopfzellen zu bestücken.

5 Tage vor der Wahl: Malinga erfährt, daß Brunnens Schwiegereltern am übernächsten Wochenende zu Besuch kommen. Brunnen erfährt, daß die Bilder von Malingas Kurzurlaub nichts geworden sind, da er den Film falsch eingelegt hat.

4 Tage vor der Wahl: Malingas Putzfrau entfernt unwissenderweise beim Großputz sämtliche Abhörgeräte außer dem in der Toilette. Am Nachmittag tut sie selbiges im Hause Brunnen, wo sie auch regelmäßig tätig ist.

3 Tage vor der Wahl: Malinga läßt sich seinen aktuellen Kontoauszug ausdrucken und beschließt, einen fairen Wahlkampf zu führen und Brunnen nicht weiter abzuhören. Nach Inspektion seines Kontoauszugs beschließt Brunnen dasselbe.

2 Tage vor der Wahl: Bei der öffentlichen Diskussionsrunde im Vereinsheim des Landfrauenvereins geben Malinga und Brunnen eine schlechte Figur ab, ihnen fehlen die Argumente.

1 Tag vor der Wahl: Malinga verbringt den ganzen Tag auf der Toilette, was wohl mehr auf seinen nervösen Magen als auf den Linseneintopf zurückzuführen ist, den er tags zuvor verspeist hat. Brunnen studiert die Meinungen und Leserbriefe in der Allgemeinen Drömelhausener Zeitung. Ihm wird schlecht.

Die Wahl: Das Wahllokal hat gemäß der Wahlordnung von 8 bis 18 Uhr geöffnet, die 178 Wahlberechtigten sind zuvor ordnungsgemäß unterrichtet worden. 122 davon geben ihre Stimme ab, eine durchaus zufriedenstellende Quote. Auf Malinga und Brunnen entfallen jeweils 18 Stimmen, was 14.7% entspricht. Die restlichen 86 Stimmen kann Martin Faller für sich verbuchen, der mit respektablen 70.5% klar für das Amt des Bürgermeisters gewählt ist.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Oktober 1999, www.eckart-winkler.de

Übersicht