Die Literaturseite von Eckart Winkler
Interview mit Herrn Dr.K zum Thema Deutsche Bahn

 

Frage: Herr Dr.K, die Deutsche Bahn hat im letzten Jahr ein neues Tarifsystem vorgestellt. Von Anfang an kritisiert, hat es sich als Flop erwiesen. Jetzt wird sogar wieder die "alte" Bahncard eingeführt. Was ist los mit der Bahn, was läuft da falsch?

Herr Dr.K: Da haben Sie recht, das ist alles sehr schlecht gelaufen. Aber erst einmal sollten wir über die Rolle der Bahn sprechen, die scheint nämlich alles andere als klar zu sein.

Frage: Die Bahn soll Personen und Güter befördern. Was meinen Sie mit "Rolle"?

Herr Dr.K: Gut, die Aufgabe scheint klar, das habe ich auch nicht gemeint. Aber, wie Sie wissen, wurde die Bahn ja vor einiger Zeit privatisiert. Das heißt doch, man erwartet von der Deutschen Bahn AG, daß sie wirtschaftlich arbeitet und vielleicht sogar Gewinne einfährt. Die Frage ist, ob man das von dem Gebilde "Bahn" erwarten darf oder sollte.

Frage: Andere arbeiten doch auch wirtschaftlich. Warum nicht die Bahn?

Herr Dr.K: Fragen Sie doch erst einmal, ob es wichtig ist, in Deutschland eine Bahn zu haben?!

Frage: Natürlich ist das wichtig und auch richtig.

Herr Dr.K: Und warum?

Frage: Die Bahn entlastet die übervollen Straßen, ist besser für die Umwelt und bietet auch denjenigen eine Transportmöglichkeit, die nicht Auto fahren können, vor allem alten und kranken Menschen.

Herr Dr.K: Es besteht also ein öffentliches Interesse an der Existenz der Bahn. Und dieses verträgt sich nicht unbedingt mit der Forderung nach Wirtschaftlichkeit.

Frage: Aber es kann doch nicht sein, daß Jahr für Jahr immense Steuergelder verschleudert werden, weil die Bahn sonst Verluste einfahren würde??!

Herr Dr.K: Sind diese Steuergelder wirklich "verschleudert"? Infrastruktur kostet Geld. Auch in den Straßenbau werden Steuergelder investiert. Von dem System "Straße - Auto" verlangt aber keiner, wirtschaftlich zu sein. Zumindest habe ich die Gegenrechnung noch nicht gesehen. Nein, man hat gehofft, sich durch die Privatisierung ein großes Problem vom Hals zu schaffen. Leider ging die Rechnung bisher nicht auf.

Frage: Na gut, überzeugt. Aber kommen wir doch mal zur Bahn selbst. Hat sie nicht die Situation, in der sie sich befindet, größtenteils selbst verschuldet? Und ist die Kritik nicht in den meisten Fällen berechtigt?

Herr Dr.K: Die Bahn muß endlich aufhören, sich als Konkurrenz zum Flugzeug zu sehen. Diese völlig falsche Sichtweise ist Grund der meisten Fehlentscheidungen der Bahn.

Frage: Als da wären?

Herr Dr.K: Ein Vorgang, der schon mehrere Jahre zu beobachten ist: Auf den Strecken zwischen den Großstädten wird kontinuierlich die Fahrtzeit verkürzt. Das ist ja im Grunde nicht schlecht. Aber im selben Maße werden die Verbindungen auf Nebenstrecken schlechter, oder die Strecken werden gleich völlig stillgelegt.

Frage: Aber gerade das ist doch wirtschaftlich.

Herr Dr.K: Auf den ersten Blick ja. Aber dann frage ich Sie: Wer soll denn die Fernzüge benutzen, wenn es für viele immer schwieriger wird, zum Startbahnhof zu kommen? Wenn Sie sich die Struktur in Deutschland ansehen, werden Sie feststellen, daß die meisten Menschen eben nicht von Frankfurt Hbf nach Hannover Hbf fahren wollen, sondern vielleicht von Gelnhausen nach Großburgwedel. Die Leute können heute sicher wesentlich schneller von Frankfurt nach Hannover fahren, aber sehr viel schlechter kommen sie von Gelnhausen nach Frankfurt und von Hannover nach Großburgwedel.

Frage: Gleicht sich das nicht immer irgendwie aus?

Herr Dr.K: In manchen Fällen ja, in den meisten Fällen nein. Vielfach sind die Menschen gezwungen, mit dem Auto zum Bahnhof der nächsten Großstadt zu fahren, damit sie dort in den ICE einsteigen können. Dann müssen sie dort schon einmal zusätzlich Parkgebühren zahlen. Und in der Ziel-Großstadt wollen sie ja auch nicht bleiben. Für das letzte Stück müssen sie sich dann abholen lassen, ein teures Taxi nehmen oder eben doch den Bummelzug nehmen.

Frage: Klingt nicht gerade sehr einladend.

Herr Dr.K: Wirklich nicht. Deshalb werden es die meisten auch nicht so machen. Nein, wenn sie ein Auto zur Verfügung haben, werden sie es gleich für die gesamte Strecke nutzen.

Frage: Die wahre Konkurrenz der Bahn ist also das Auto, nicht das Flugzeug.

Herr Dr.K: Genau so ist es. Und die Bahn täte gut daran, ihre Vorzüge gegenüber dem Auto klarzumachen. Und bei den Punkten, an denen sie nahe dran ist, sollte sie weiterarbeiten.

Frage: Welche Vorzüge sehen Sie denn?

Herr Dr.K: Na ja, es wurde in der letzten Zeit doch eine Menge über die Bahn geschimpft. Sie hat aber auch wirklich ihre Vorteile. Es ist nämlich ein ganz anderes, ein entspanntes Reisen. Man kann sich hinsetzen, braucht sich um nichts zu kümmern, kann nebenher andere Dinge tun, sogar die Augen zumachen. All das ist im Auto so nicht möglich, zumindest nicht für den Fahrer.

Frage: Entspannt ist es aber nicht immer.

Herr Dr.K: Wenn ein Zug überfüllt ist und Sie keinen Sitzplatz haben, dann kann die Fahrt natürlich zum Horror-Erlebnis werden. Im Zweifel sollte man also immer reservieren.

Frage: Dadurch geht aber die Flexibilität verloren.

Herr Dr.K: Alles können Sie nicht haben. Sie können nicht verlangen, daß Sie am Bahnhof ankommen, sofort ein Zug losfährt und Sie sicher einen Sitzplatz haben. Genausowenig können Sie zu jeder Zeit auf die Autobahn fahren und erwarten, daß Sie sie für sich haben. Im übrigen können Sie normalerweise noch am Vorabend reservieren. Oder sogar per Express-Reservierung kurz vor der Fahrt.

Frage: Das klingt jetzt ein bißchen wie die Argumentation der Bahn für die Plan&Spar-Tarife.

Herr Dr.K: Na ja, es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß es für die Bahn erstrebenswert ist, frühzeitig die Auslastung ihrer Züge zu kennen. Aber andere Unternehmer müssen den voraussichtlichen Bedarf ja auch selbst ermitteln und entsprechend disponieren. Was würden Sie denn von einem Gemüsehändler halten, der unterschiedliche Preise verlangt, und dies abhängig davon, ob Sie ihm eine Woche oder drei Tage vorher oder heute mitgeteilt haben, was Sie kaufen möchten? Der wäre nächsten Monat pleite.

Frage: Diese Vorstellung ist aber auch zu absurd!

Herr Dr.K: Eben. Für den Kunden ist es nämlich erstrebenswert, so flexibel wie möglich zu sein. Von daher waren die Plan&Spar-Tarife von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Zumal die meisten Kunden ja gar nicht wie von der Bahn gewünscht auf andere Termine ausweichen können. Wer das konnte, hat es schon vorher getan und die "heißen" Wochenenden gemieden. Der Gipfel und das eigentlich Dilettantische an der Aktion war aber die Werbung für diese neuen Tarife.

Frage: Wie meinen Sie das?

Herr Dr.K: Das grenzte meiner Meinung nach schon an Volksverdummung. Da hieß es überall, Bahnfahren seit jetzt so günstig wie nie zuvor. Bei genauerem Hinsehen stellte man dann sehr schnell fest, daß das nur dann gilt, wenn man mindestens eine Woche vorher seine Fahrkarte kauft, älter als 65 Jahre ist und zusammen mit 4 weiteren Erwachsenen fährt. Oder so ähnlich. Und selbst dann kann es ja noch passieren, daß es für den gewünschten Zug keine billigen Karten mehr gibt.

Frage: Da fühlten sich viele hinters Licht geführt.

Herr Dr.K: Allerdings. Klar war aber auch die Reaktion der Menschen: Da stellt man bald fest, daß ein solches Angebot für einen gar nicht in Frage kommt, ärgert sich und fährt schließlich gar nicht mit der Bahn.

Frage: Welchen Rat würden Sie der Bahn geben?

Herr Dr.K: Die Bahn sollte endlich das Auto als Hauptkonkurrent ansehen und nicht das Flugzeug. Sie sollte ihre Politik an den Vorteilen des Autos ausrichten. Das bedeutet ein besonderes Augenmerk auf Flexibilität und Pünktlichkeit. Auch sollten die Nebenstrecken in ländlichen Gebieten nicht vergessen werden.

Frage: Halten Sie denn die Führungsriege der Bahn für die richtige?

Herr Dr.K: Wenn nicht ein grundlegender Gesinnungswandel eintritt, dann nicht.

Frage: Herr Dr.K, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, 28.Juli 2003, www.eckart-winkler.de

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