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Interview mit Herrn Dr.K zum Thema Krankenkassen

 

Frage: Herr Dr.K, seit Jahren sind die Krankenkassen im Gespräch, seit Jahren werden sie teurer, seit Jahren nehmen die gebotenen Leistungen ab. Was läuft hier schief?

Herr Dr.K: Was Sie sagen, ist ganz richtig. Das Gebilde "Gesundheitsversorgung", das ja eigentlich ein Grundpfeiler des Sozialstaats sein müßte, ist einfach nicht mehr beherrschbar. Jedenfalls nicht, wenn man so weitermacht wie bisher.

Frage: Und warum?

Herr Dr.K: Nun, zunächst müssen wir uns mal ansehen, in welcher Situation wir hier stehen. Eine Bestandsaufnahme gewissermaßen. Und da ist auffällig, daß es gesetzliche und private Krankenkassen gibt. Die privaten Kassen bieten günstigere Tarife und bessere Leistungen an. Es darf aber nur ein kleiner Teil der Menschen Mitglied bei den privaten Kassen werden.

Frage: Wenn man es so ausdrückt, ist das natärlich eine absurde Situation.

Herr Dr.K: Das ist richtig. Man muß aber sehen, wie es dazu gekommen ist. Und zwar hat man gesagt, die gering oder normal Verdienenden benötigen den gesetzlichen Krankenschutz, weil sie aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse notwendige Heilbehandlungen nicht aus eigener Tasche bezahlen können. Und damit hier niemand in eine Zwangs-Lage gerät, macht man gleich eine Zwangs-Mitgliedschaft daraus.

Frage: Und die besser Verdienenden?

Herr Dr.K: Bei den besser Verdienenden geht man davon aus, daß sie ihre Behandlungen selbst bezahlen können und ein gesetzlicher Krankenschutz nicht notwendig ist. Zumindest nicht zwangsweise.

Frage: Davon geht aber heute niemand mehr aus??!

Herr Dr.K: Natürlich nicht. Die Kosten für Heilbehandlungen sind ja auch explosionsartig gewachsen. Und sie wachsen weiter. Deswegen gibt es ja auch die privaten Krankenkassen. Diese können denjenigen, die nicht zwangsweise am gesetzlichen System teilnehmen, ein in vielen Fällen günstigeres Angebot machen.

Frage: Aber warum ist dieses Angebot denn günstiger?

Herr Dr.K: Es gibt einen kleinen, aber wesentlichen Unterschied zwischen den gesetzlichen und den privaten Krankenkassen: Die privaten dürfen Aufnahmeanträge ablehnen, die gesetzlichen dürfen das nicht. Infolgedessen führen die privaten Kassen vor der Aufnahme Gesundheitsprüfungen durch und lehnen im Falle von Vorerkrankungen Anträge ab, machen Einschränkungen in der Leistungspflicht oder erheben Zusatzbeiträge.

Frage: Ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil...

Herr Dr.K: Natürlich. Die privaten Kassen picken sich die "guten" Kunden heraus, die "schlechten" bleiben bei den gesetzlichen. Mit "schlecht" meine ich diejenigen, die wenig oder gar nichts einzahlen, aber Leistungen beziehen. Das sind auch beitragsfreie Familienangehörige, Rentner und Arbeitslose.

Frage: Das ist aber doch gerade das Solidarprinzip.

Herr Dr.K: Richtig. Es ist aber verhängnisvoll, daß gerade diejenigen nicht teilnehmen, die gut verdienen und demzufolge hohe Beiträge zahlen würden und die auf der anderen Seite einen guten Gesundheitszustand haben und daher keine oder wenige Leistungen beziehen würden. Genau das ist nämlich der Kundenkreis der privaten Krankenkassen.

Frage: Ein Fehler im System also?

Herr Dr.K: Ein ganz gewaltiger. Zumal die Entscheidung, in eine private Krankenkasse zu wechseln, eine endgültige Entscheidung ist.

Frage: Aber das ist doch wenigstens verständlich. Anderenfalls würden doch junge und gesunde Menschen mit dem entsprechenden Einkommen in eine private Kasse wechseln und später, wenn sie nicht mehr ganz so gesund sind oder Familie haben, zurück in die gesetzliche Kasse kommen.

Herr Dr.K: Richtig, das ist der Grund. Trotzdem sehe ich eine Möglichkeit, wie man privat Versicherten den Weg zurück in die gesetzliche Versicherung bereiten könnte, und dies nicht zum Nachteil des gesetzlichen Systems.

Frage: Aha??! Sie machen mich neugierig.

Herr Dr.K: Das Geheimnis liegt in der Rückstellung. Sie zahlen in der privaten Krankenkasse ja nicht nur zur Abdeckung des Risikos einer Erkrankung, sondern die Krankenkassen bilden für jeden Versicherten Rückstellungen, die ein unkontrolliertes Ansteigen der Beiträge im Alter vermeiden sollen. Diese Rückstellungen müßten erstens transparent und zweitens übertragbar gemacht werden. Und das am besten per Gesetz.

Frage: Ich verstehe.

Herr Dr.K: Durch die Rückstellung sind Sie zur Zeit Ihrer privaten Krankenkasse auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Bei einem Wechsel zu einer anderen Kasse verlieren Sie alles, was für Sie angespart wurde. Können Sie Ihre Rückstellung aber zu einer anderen Kasse mitnehmen, wird ein Wechsel jederzeit möglich, natürlich auch zurück in eine gesetzliche Kasse.

Frage: Das wäre doch wirklich eine Verbesserung!

Herr Dr.K: So ist es. Noch viel besser würde mir allerdings die noch radikalere Lösung gefallen.

Frage: Und wie sieht die aus?

Herr Dr.K: Die Wahlmöglichkeit für die besser Verdienenden wird abgeschafft. Jeder muß in das gesetzliche System einzahlen und erhält dieselben Leistungen. Wer bessere Leistungen möchte, kann sie auf dem Weg der privaten Zusatzversicherung bekommen.

Frage: Wäre das nicht ein bißchen zu radikal?

Herr Dr.K: Ich glaube, hier kann keine Lösung zu radikal sein, wenn es denn eine Lösung ist. Im übrigen wäre das nur konsequent, wenn Sie an meine vorherigen Ausführungen zurückdenken.

Frage: Zugegeben. Aber wie wollen Sie dorthin kommen? Wollen Sie in einem radikalen Schnitt alle privaten Krankenkassen auflösen?

Herr Dr.K: Nein, das sicher nicht. Das wäre auch nicht fair gegenüber den Versicherungen. Sie können nicht mit einem Schlag die Rahmenbedingungen für eine ganze Branche auf den Kopf stellen. Nein, so geht es also nicht. Es müßte ein Weg gefunden werden, der sicher ein paar Jahre in Anspruch nimmt. Während dieser Zeit haben alle Beteiligten Gelegenheit, sich auf die veränderten Verhältnisse einzustellen, und zwar Versicherte und Versicherungen.

Frage: Und dann ist das Gesundheitswesen gerettet?

Herr Dr.K: Das sicher nicht. Das wäre die Basis, um erfolgreicher den künftigen Anforderungen begegnen zu können, ohne Zweifel. Da muß aber noch eine ganze Menge hinzukommen.

Frage: Und das wäre?

Herr Dr.K: Es ist ja nicht nur wichtig, daß mehr Geld in die Kassen kommt. Sondern es muß ja auch dafür gesorgt werden, daß das Geld nicht sofort wieder unkontrolliert in alle Richtungen verschwindet.

Frage: Wie wollen Sie das erreichen?

Herr Dr.K: Na ja, die Krankenkassen dürfen kein Selbstbedienungsladen sein. Weder für Ärzte noch für Patienten. Es müssen Kontrollmechanismen geschaffen werden, die es weder den Ärzten gestatten, zuviel abzurechnen noch den Patienten, unbegrenzt viele Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Frage: Das klingt nach viel Bürokratie.

Herr Dr.K: Auf den ersten Blick ja. Ich denke aber eher daran, die Beteiligten und insbesondere die Patienten ein bißchen mehr in die Verantwortung zu nehmen. Es weiß doch heute kein gesetzlich Versicherter, was ein Arzt für die in Anspruch genommene Leistung abrechnet. Dabei muß es doch in seinem eigenen Interesse sein, der Krankenkasse möglichst wenige Kosten zu verursachen. Denn diese werden ja über die Beiträge an ihn weitergegeben.

Frage: Das heißt, Sie sehen in der Zukunft einen direkten Wettbewerb der Ärzte untereinander? Die Patienten sollen zu dem gehen, der dieselbe Leistung billiger anbietet?

Herr Dr.K: Nein, da haben Sie mich mißverstanden. Wir haben eine Gebührenverordnung für Ärzte, in der die einzelnen Leistungen detailliert beschrieben sind. Dies ist sinnvoll, und daran soll sich nichts ändern. Ich denke da eher daran, daß jeder Patient die Abrechnung des Arztes zu Gesicht bekommt. Die Eigenverantwortung sehe ich dann darin, daß er sie kritisch hinterfragt. Denn all das, was der Arzt hier mit der Krankenkasse abrechnet, bezahlt der Patient über seine Beiträge ja doch. Ich denke aber, hier ist noch gewaltige Arbeit zu leisten, um all dies auszugestalten. Möglichkeiten, das sinkende Schiff wieder flottzubekommen, gibt es. Sie müssen nur genutzt werden, und das ziemlich bald.

Frage: Herr Dr.K, ich danke Ihnen für das Gespräch.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, 13.Mai 2003, www.eckart-winkler.de

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