Die Literaturseite von Eckart Winkler
Bitte Werbung!

 

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! - Sonderverkauf wegen Geschäftsauflösung! - Dauer-Niedrigpreise! - Werfen Sie diesen Brief nicht weg, er könnte einen Gewinn enthalten! - Einmalige Gelegenheit! - Bestellen Sie schnell, der Vorrat ist begrenzt!

Wer kennt das nicht: Werbezeitungen, Werbezettel, Werbebriefe. Aufforderungen, an Preisausschreiben teilzunehmen. Mitteilungen, daß man bei Preisauschreiben gewonnen hat, an denen man aber gar nicht teilgenommen hat. Mitteilungen, daß man zu den wenigen Glücklichen gehört, die ein Produkt zum Sonderpreis kaufen dürfen. Und so weiter, und so fort. Jeden Tag ist der Briefkasten voll davon.

Und je länger man an einem Ort wohnt, desto schlimmer wird es. Ist ja auch klar: Je länger man irgendwo wohnt, in umso mehr Adreß-Dateien gerät man. Und in je mehr Dateien man geraten ist, desto mehr erhält man zugeschickt. Da nutzt es herzlich wenig, an seinem Briefkasten ein Schild anzubringen: Keine Werbung!. Denn bei 99 Prozent dieses Materials handelt es sich ja um ganz gewöhnliche Briefe, die der Post mit dem Auftrag übergeben wurden, sie dem aufgedruckten Empfänger zuzustellen. Und die Post stellt zu.

Geärgert hat mich das schon immer. Allerdings hielt es sich bei mir immer in Grenzen, da ich berufsbedingt in schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr einmal umgezogen bin. Und da waren jedesmal alle mich betreffenden Datei-Einträge mit einem Schlag futsch.

Nun wird man doch irgendwann seßhaft, will sagen, ich legte mir eine feste Adresse zu. Und da zeigte sich, was mir in den vergangenen Jahren erspart geblieben war.

Natürlich unterhielt ich einen Haushalt der kurzen Wege, das heißt, direkt vom Briefkasten in die Papiertonne. Allerdings war innerhalb von drei Jahren die Menge derartigen Werbematerials so angewachsen, daß meine bisherige Tonne nicht mehr ausreichte. Ich mußte bei der Stadtverwaltung eine neue, größere beantragen. Dies war mit höheren Kosten verbunden, was mich wieder ärgerte. Aber was sollte ich tun... Moment... Was konnte ich tun?

Ja, ich konnte tatsächlich etwas tun. Wie man ja immer wieder hörte, hatte sich Altpapier zu einer recht einträglichen Ware entwickelt. Und immerhin kam ich jede Woche ohne mein Zutun zu einer nicht unerheblichen Menge dieser Ware. Sollte ich dies nicht etwa ausnutzen können?

Und in der Tat stellte sich dies als gute Idee heraus. Ich fand einen Händler, der mir einmal wöchentlich die volle Papiertonne abnahm. Summa summarum kam ich damit finanziell bei null heraus, und zwar unter Einbeziehung der Kosten für die Tonne und der Fahrtkosten auf der einen Seite sowie der Einnahmen durch das Altpapier auf der anderen Seite.

Unternehmerisch gedacht war das sicher noch nicht das Wahre, denn nicht einmal meine Arbeitszeit hatte ich mit einberechnet. Aber es war ein Anfang, und ich war lernfähig.

Das Hauptproblem bestand wohl in der für einen Altpapierhändler zu geringen Menge. Die galt es zu steigern. Nun also dachte ich umgekehrt: Je mehr Werbematerial man haben will, in desto mehr Adreß-Dateien muß man vertreten sein. Und wie kommt man in diese Dateien? Ganz einfach durch Teilnahme an Preisausschreiben oder Verlosungen. Denn der Zweck derartiger Preisausschreiben besteht ja weniger darin, ein paar Menschen durch einen Gewinn zu beglücken, als vielmehr an die ungezählten Adressen derjenigen Leute zu kommen, die eben nicht gewinnen.

Ich löste also Rätsel, was das Zeug hielt. Kreuzworträtsel, Silbenrätsel, Gitterrätsel, Silbenverschiebrätsel. Ich ergänzte Sätze wie ".. löscht den Durst" und ".. gibt Sicherheit für den ganzen Tag". Ich beantwortete Fragen wie "Wieviele Vitamine stecken im XY-Multivitaminsaft?". Keine Firma war vor mir sicher.

Eine Verbesserung der Allgemeinbildung, auf die ich gehofft hatte, ergab sich allerdings nur bedingt. Denn um die Lösung auf eine Frage wie "Was liebt der Hund?" zu finden, ist normalerweise nicht einmal eine Änderung der Blickrichtung nötig. Sie steht meist kaum fünf Zentimeter von der Frage entfernt. Eine bessere Allgemeinbildung wäre aber auch nur ein netter Nebeneffekt gewesen. Die Hauptsache war doch, daß mein Altpapier mehr wurde.

Und es wurde mehr. Zum ersten Mal mußte ich einen Container bestellen, der wöchentlich von einem Subunternehmer zum Altpapierhändler gebracht wurde. Und zum ersten Mal warf dieses Geschäft einen Gewinn ab. Aber ich hatte das untrügliche Gefühl, daß sich das noch steigern ließ.

Wie wäre es denn, wenn ich unter anderem Namen an den Preisausschreiben teilnähme, dabei aber meine Adresse angäbe? Dann kämen doch diese fremden Namen mit meiner Adresse in die Dateien, und das Werbematerial würde wiederum an meine Adresse geschickt. Das war es! Jeder neue Name würde mir noch einmal dieselbe Menge an Altpapier einbringen. Eine kolossale Idee!

Dahinter steckte natürlich zunächst ein bißchen Arbeit in Form von noch mehr Preisausschreiben. Aber tatsächlich schaffte ich es, innerhalb von nur fünf Monaten einhundertfünfundzwanzig Namen in allen einschlägigen Datenbanken unterzubringen. Und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Tag für Tag wurden hier zehn Container abtransportiert. Längst war dies mein einziger Broterwerb geworden. Denn zu arbeiten brauchte ich wirklich nicht mehr.

Allerdings verursachte mir dieses Geschäft nun ein paar Probleme. Nachbarn beschwerten sich über den permanenten Lärm, und mein Vorgarten sah gar nicht mehr schön aus. Zwei bis drei unfreundliche Telefonate pro Tag mußte ich schon über mich ergehen lassen. Was war das jedoch gegen den ständigen Ärger, den ich früher in der Firma hatte!

Der Unterschied war hingegen: Für die jetzigen Probleme gab es eine einfache Lösung, die Post machts möglich. Auf einem einzigen Nachsendeantrag gab ich zu allen einhundertfünfundzwanzig Namen die Adresse des Altpapierhändlers an und erschlug damit drei Fliegen mit einer Klappe: Die Nachbarn sind wieder zufrieden, mein Vorgarten erstrahlt in altem Glanz, und die Kosten für den Subunternehmer spare ich auch, weil die Post mein Altpapier nun direkt an den Händler liefert.

Eins sollten Sie natürlich bedenken: Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, schreiben Sie mir bitte nicht. Zwar garantiert die Post bekanntermaßen, daß Ihr Brief in den meisten Fällen am nächsten Tag ankommt, aber ich werde ihn mit Sicherheit nicht finden. Benutzen Sie also lieber E-Mail, Fax oder das gute alte Telefon. Das ist sicherer.

Und wenn Sie mir einen Gefallen tun möchten: Lösen Sie einfach ein Rätsel für mich.

 
Eckart Winkler, Bad Nauheim, Juli 1998, www.eckart-winkler.de

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