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Reiseberichte

Documenta 2002 in Kassel
Von Eckart Winkler, Bad Nauheim, Mail: info@eckart-winkler.de, Home: http://www.eckart-winkler.de

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Das Drumherum

Trotz teilweise schlechter Kritik in den Medien habe ich mich entschlossen, die Documenta XI zu besuchen. Ich will mir mein Bild als kunstinteressierter Laie machen und nicht als Kunstkritiker.

Der Tag, den ich mir ausgesucht habe, ist ein Samstag (10.Aug.2002). Außerdem regnet es, die Hallen sind voll, teilweise übervoll. Gegenüber der letzten Documenta vor fünf Jahren ist als neuer Ausstellungsort die Binding-Brauerei hinzugekommen, erneut sind das Fridericianum und die Documenta-Halle dabei. Ebenso der Seitenflügel des Hauptbahnhofs, während der Zeit der Ausstellung heißt er Kulturbahnhof.

Regen bei einer Freiluftveranstaltung wäre sicherlich unangenehmer, aber auch hier ist er wegen der örtlichen Verteilung nicht so lustig. Zudem befinden sich die Garderoben in Containern außerhalb der Ausstellungsgebäude. Rucksäcke und auch Regenschirme müssen jeweils abgegeben werden, immer muß ein Stück im strömenden Regen zurückgelegt werden. Zwischen den einzelnen Orten verkehren kostenlose Pendelbusse.

Der Preis für eine Tageskarte beträgt 16 Euro, das bedeutet eine Steigerung von fast 110% gegenüber der Documenta X. Auch der Kurzführer hat im Preis deutlich angezogen, er kostet 15 Euro. Zu jedem hier vertretenen Künstler gibt es dort eine Kurzbeschreibung sowie ein Foto. Negativ anzumerken ist, daß in vielen Fällen das Foto gar keines der hier ausgestellten Objekte zeigt, sondern ein beliebiges anderes des betreffenden Künstlers. Dies mindert den Wert als künftiges Nachschlagewerk enorm, denn Bilder prägen sich nun mal am ehesten ein.

Dennoch ist dies das Minimum, das man investieren muß, um etwas davon zu haben. Alternativ empfiehlt sich auch die Teilnahme an einer Führung für 5 Euro, die aber nur jeweils einen der Ausstellungsorte abhandelt. Die Führungen sind sehr begehrt und müssen oft vorgebucht werden. In der Summe ist das nicht günstiger, dafür kann man aber Fragen stellen.

Bei einigen Räumen in der Binding-Brauerei ist die Zahl der besichtigenden Personen beschränkt. Hier darf man erst eintreten, wenn gerade eine Person den Raum verlassen hat. Als Folge bilden sich teilweise lange Schlangen in den ohnehin schon schmalen Gängen. Durch Ein- oder Ausgang dieser Räume kann man aber schon mal einen Blick tun und abschätzen, ob sich das Warten lohnt.


Inhaltlich

Häufig vertreten sind Fotoarbeiten. Diese erwecken meist eher den Eindruck des Dokumentarischen als des Künstlerischen. Zweifelsfrei steht hier die politische Aussage im Vordergrund, was ja an sich noch nicht verkehrt ist. Trotzdem muß man an dieser Stelle die Frage stellen, wo denn die Grenze zwischen dokumentarischem Foto-Journalismus und künstlerischer Fotografie liegt. Die hier gezeigten Arbeiten beantworten diese Frage nicht. Man hört auch immer wieder Äußerungen anderer Besucher, die diesen Arbeiten nicht die größte Beliebtheit zubilligen.

Ähnliches scheint für die zahlreichen Räume zu gelten, in denen Filme oder Dias gezeigt werden. Kaum ein Besucher will sich so richtig darauf einlassen. Die meisten bleiben im Eingang stehen, um einen kurzen Blick daraufzuwerfen, und verursachen so einen Stau. Bzgl. des Inhalts muß man dieselbe Frage stellen wie bei den Fotoarbeiten.

Eine oft beobachtete Erscheinungsform - nicht erst bei dieser Documenta - ist die Wiederholung. Ein Einzelstück, das für sich gesehen nicht zum Kunstwerk taugt, wird in 100-, 1000- oder 10000-facher Ausfertigung präsentiert, und die Gesamtheit all dieser Einzelstücke wird zum Kunstwerk erhoben. Besonders deutlich zeigt sich das bei der deutschen Konzeptkünstlerin Hanne Darboven, deren gerahmte Zahlrenreihen sich über drei Stockwerke des Fridericianums hinziehen.

Der oft geäußerten Kritik, die Documenta XI hätte nur Altbekanntes anzubieten, kann ich nur teilweise folgen. Sicherlich ist die Documenta der Ort, wo Neues präsentiert werden sollte. Es ist aber auch nichts dagegen einzuwenden, wenn der eine oder andere Künstler mit exemplarischen Arbeiten für sein Lebenswerk geehrt wird.

Und hier noch eine Aufstellung von gezeigten Arbeiten, die aufgefallen sind - positiv oder negativ.


Kulturbahnhof

Architektur ist eines der Themen im Kulturbahnhof. Die farbenfrohesten Arbeiten stammen von Bodys Isek Kingelez, es handelt sich hierbei um Hochhaus-Modelle, die zunächst einer überaus reichen Fantasie zu entspringen scheinen, aber dann doch vielleicht irgendwann Realität werden.


Fridericianum

Die Installation "Homebound" von Mona Hatoum wirkt durch ihre Gegensätzlichkeit. Eine Wohnzimmereinrichtung hinter Drahtabsperrung. Licht- und Geräuscheffekte verstärken den Eindruck eines Hochsicherheitsbereichs, und der Titel drückt auch genau den Widerspruch aus. Unwillkürlich denkt man an Orwells 1984. Vielleicht ist das Werk aber auch erwachsen aus Kindheit und Jugend der Künstlerin, sie ist Libanesin und großgeworden im Bürgerkrieg.

Die Arbeiten des japanischen Künstlers On Kawara werden bestimmt von der Zeit. Maschinengeschriebene Verzeichnisse der Jahre von 998031 v.Chr. bis 1969 ("The Past") und von 1996 bis 1001995 n.Chr. ("The Future") stehen auf einem Bücherbord. Weitaus auffälliger hingegen ist die von jeweils einer Frau und einem Mann zelebrierte Lesung der Jahreszahlen, in denen man durch die unterschiedliche Betonung fast einen Sinn zu erhaschen meint. Ein großes Publikum ist dieser Art von Performance sicher.


Binding-Brauerei

Der Raum von Georges Adéagbo präsentiert sich als Sammlung von Stücken, die man wohl an einem Tag auf einem Großstadtflohmarkt eingekauft haben mag und die hier auf Boden und Wand verteilt sind. Immerhin kann man bei gut ausgestatteter eigener Bibliothek oder Schallplattensammlung das eine oder andere Stück wiederentdecken.

Unter den filmischen Arbeiten ist "Die vier Jahreszeiten der Veronica Read" von Kutlug Ataman hervorzuheben. Auf vier im Quadrat angeordneten Leinwänden werden gärtnerische Szenen gezeigt. Am effektvollsten ist es, wenn man sich in das Quadrat hineinstellt.

Sein Atelier hat der kroatische Künstler Ivan Kozaric auf die Documenta verfrachtet. Schade, daß er krank geworden ist und nicht wie geplant während der Zeit der Ausstellung hier arbeiten kann. Trotzdem ist der Raum einen Blick wert, wenn die Schlange nicht gerade zu lang ist.

Die Französin Annette Messager präsentiert einen Raum voller Marionetten und sonstiger Puppen. Alles ist in Bewegung, es ist schön anzusehen. Daß hier auch sexuelle Fantasien dargestellt sein sollen, vermag man auf den ersten Blick nicht nachzuvollziehen. Vor allem erweist sich dieser Raum als Liebling der Kinder.

Mit der Malerei scheint sich in unserer Zeit kaum ein Künstler mehr zu beschäftigen, zumindest nicht auf der Documenta. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Belgier Luc Tuymans, der sich in der Tradition des Symbolismus zu bewegen scheint.

Zwölf Minuten dauert die "Vorführung" des Werkes "Landings" von Nari Ward. Unter einschläfernder Musik wird ein zwischen zahlreichen Rädern von Kinderwagen liegender künstlicher Baum langsam hochgezogen, um hernach in derselben Geschwindigkeit wieder abzusinken. Daß hier eine Art Unvereinbarkeit von Natur und Kultur gezeigt werden soll, scheint klar. Dennoch erwarten die Besucher hiervon meist mehr, gehen nach Beendigung enttäuscht weiter.


Fazit

Ein bißchen innovativer hätte es schon sein dürfen, insoweit gebe ich der Kritik recht. Trotzdem bin ich von den gezeigten Werken nicht enttäuscht. Wer diese Art von Kunst nicht grundsätzlich ablehnt und bereit ist, sich darauf einzulassen, der kann hier durchaus ein interessantes und erkenntnisreiches Wochenende verbringen.

Geradezu unverschämt empfinde ich allerdings die saftige Preiserhöhung bei Eintritt und Kurzführer, wobei letzterer darüberhinaus noch die erwähnten Mängel aufweist. Für diese Preispolitik kann ich beim besten Willen keine Rechtfertigung erkennen, und so werde ich mich beim nächsten Mal ernsthaft fragen, ob mir die Documenta XII den dann geforderten Preis wert sein wird.

 

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